McKinsey und die Tafeln

Wider den neoliberalen Wahnsinn. Knallhart.

McKinsey und die Tafeln

Die Tafeln sind ein eingetragener Verein, der qualitativ einwandfreie Lebensmittel, die marktwirtschaftlich nicht mehr zu verwerten sind, an Bedürftige verteilt. Seinen Urpsrung hat die Idee im Amerika der 60er Jahre, wo John van Hengel aus Arizona die erste Tafel gründete.

Ein Artikel im LinksNet setzt sich nun kritisch mit den Tafeln auseinander:

Aber warum ist dieses Projekt so erfolgreich? Weil alle Beteiligten »Gewinn« daraus ziehen. Die Supermärkte und Discounter können die Ware, die nicht mehr verkauft werden kann, abschreiben, mit ihrer sozialen Verantwortung werben und gleichzeitig die Entsorgungskosten minimieren. Den Initiatoren und Helfern von Lebensmittelausgaben und Suppenküchen ist ebenfalls Anerkennung sicher: Tafeln haben ein hohes gesellschaftliches Ansehen.

Anerkennung kommt vor allem von denen, die den Rückbau des Sozialstaats und die Zunahme von Armut politisch zu verantworten haben. Sie singen das Hohelied auf das Ehrenamt. Es überrascht deshalb nicht, daß Familienministerin Ursula von der Leyen die Schirmherrschaft beim Bundesverband übernommen hat und daß Bundespräsident Horst Köhler gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, Anfang Februar zu einem Benefizkonzert zugunsten der Tafeln in die Berliner Philharmonie einlud. Man muß sie lieb haben, die Tafeln und ihre Helfer.

In der Tat füllen die Tafeln eine Lücke, die politisch bewußt geschaffen wurde. Es ist bereits wissenschaftlich erwiesen, dass beispielsweise der Regelsatz des ALG2 in Höhe von 345 Euro im Vergleich zu den vorherigen Sozialleistungen um 37,29 Euro zu niedrig angesetzt wurde und auch für Kinder zu wenig gezahlt wird. Auch eine Anpassung an steigende Lebenshaltungskosten erfolgt nicht – so werden ganze Bevölkerungsgruppen von der Mehrung des Wohlstands unseres Landes ausgeschlossen, ja abgehängt, während eine Angleichung der Diäten unserer Polit-Schauspieler nicht schnell genug erfolgen kann. Wo die im zu niedrigen Regelsatz veranschlagten 4,02 Euro pro Tag für Essen und Getränke nicht reichen, da helfen die Tafeln aus. Eine Klage gegen den kleingerechneten Regelsatz ist indes noch nicht anhängig, verstößt er doch gegen das grundgesetzlich fixierte Sozialstaatsprinzip. Bisherige Klagen wurden von Richtern, die wahrscheinlich kaum mehr wissen, wo sie ihr Geld noch investieren sollen, abgewiesen. Dies könnte jedoch vor allem an der dünnen Faktenlage gelegen haben. Doch solange die Tafeln verteilen, wird die Unzufriedenheit der Massen nicht groß genug werden, um eine weitere Klage auf den Weg zu bringen.

Meines Erachtens wurde mit den Tafeln ein Prinzip eingeführt, das schon aus den USA bekannt ist: Sozialleistungen als willkürliche Almosen statt als gesicherter Rechtsanspruch. Kein Wunder, dass sich Unternehmen, die von den permanenten Entlastungen – auch bei den Lohnnebenkosten – profitieren, die Tafeln unterstützen:

Unterstützt werden die Tafeln von zahlreichen kapitalkräftigen Sponsoren. Dazu zählen DaimlerChrysler, der Reifenhersteller ContinentalNorddeutsche LandesbankGruner & Jahr, um nur einige zu nennen. Auch der große Unternehmensberater McKinsey – führend bei Rationalisierung und Personalabbau – kümmert sich so um die Opfer der Arbeitsplatzvernichtung. Rührend. Jedenfalls beruhigend fürs Gewissen.

Auch hier gilt, dass das Sponsoring jederzeit wegfallen kann und somit die Tafeln in Bedrängnis gebracht werden könnten, falls Vorstand oder die Shareholder entscheiden sollten, dass dieses Sponsoring zu teuer ist und lieber noch als Sahnehäubchen auf die meist ohnehin hohe Rendite gepackt werden soll. Schon jetzt ist ein Trend zu sinkender Spendenbereitschaft zu erkennen:

Die Zukunft der Tafeln, die vom Spiegel einmal als »die größte soziale Bewegung der 90er Jahre« gelobt wurden, ist unschwer zu prognostizieren. Bereits jetzt ist festzustellen, daß die Zahl der Natural- und Sachspenden sinkt (die Ursachen hierfür liegen in der verbesserten Kalkulation der Lebensmittelmärkte, aber auch in der Wettbewerbsituation der Tafeln untereinander), während die Zahl der Armen und Bedürftigen, die in die Listen der Bezugsberechtigen aufgenommen werden möchten, stetig steigt.

Na also, so einfach geht das. Warum sollte es auch anders sein, ist im globalisierten Wettbewerb der Ausbeuter und Menschenschinder soziales Engagement für Unternehmen doch mindestens so hinderlich wie eine strenge Sexualmoral für den Job der Prostituierten? Beispiel Kassel:

Die Tafel in der nordhessischen Stadt begann mit der Verteilung von »Kochgütern« zweimal in der Woche; inzwischen ist sie bei einem vierzehntägigen Ausgabeturnus angelangt. Bei über 1000 Tafelkunden ist das kein Wunder.

Kurzum, die Konkurrenz am unteren Ende der Gesellschaft wird wohl härter und rauer werden. Die Lücke, welche die von der Politik absichtlich zu niedrige Berechnung des Regelsatzes vom ALG2 schlägt, wird bleiben. Die Lückenfüller wie die Tafeln könnten aber schon sehr bald abschmelzen und zuletzt vielleicht auch ganz wieder verschwinden. Das ist der eklatante Nachteil von willkürlich gewährten Almosen im Vergleich zu zugesicherten Rechtsansprüchen. Es wäre daher zu empfehlen, dass die Erwerblosen-Initiativen ein neues Verfahren anstrengen, das nicht nur die korrekte Berechnung des Regelsatzes nach sich zöge, sondern auch die regelmäßige Anpassung an steigende Lebenshaltungskosten. Die jetzige Verfügbarkeit wissenschaftlicher Berechnungen würde die Erfolgsaussichten eines solches Verfahrens massiv erhöhen.